Kinder aus den Lagern holen?

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Unter dem Titel „Das Patriarchat kehrt zurück“ stellte Necla Kelek in ihrem Kommentar am 4.1.2020 in der WNZ einige kluge Überlegungen an, und einige weniger kluge.

Klug war es festzustellen, dass durch Zuwandererfamilien Parallelkulturen entstanden sind und unsere Gesellschaft die Aufgabe hat, Menschen, vor allem Kinder, Jugendliche und Frauen, vor Instrumentalisierungen zu schützen. Dies ist vor allem durch Bildung und Erziehung in unseren Schulen möglich.

Nicht klug war es, Robert Habecks Appell, zuerst 4000 Kinder aus den Flüchtlingslagern und den dort herrschenden Zuständen herauszuholen, als Instrumentalisierung zu bezeichnen.

Sie kritisiert, dass die fraglichen Kinder und Jugendlichen zu 92% männlich seien und „der Pascha in Kabul inzwischen [wisse], dass in Koblenz unbegleiteten Kindern Hilfe und Schutz gewährt wird“. Ja, das kann gut sein, dass junge Menschen von ihren Familien losgeschickt werden, um „Quartiermacher“ in Deutschland zu werden. Aber sie sind da. Und sie leben in unzumutbaren Verhältnissen. Sie sind jeden Tag schrecklichen Gewalterlebnissen ausgesetzt, und das prägt den Charakter. Je länger sie dort bleiben, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie in Deutschland positive gesellschaftliche Erfahrungen machen können. Nicht nur abweisende Deutsche, sondern auch ihr inzwischen verfestigtes Bild, wie ein ‚echter Kerl‘ und eine ‚anständige Frau‘ zu sein habe, werden die Einsicht in emanzipatorische Notwendigkeiten der zivilisierten Gesellschaft gefährden. Also: Je früher sie herkommen, desto größer sind die Chancen, dass sie eine wertschätzende und emanzipatorische Einstellung für sich selbst entwickeln können und damit den Trends zur „Rückkehr des Patriarchats“ entgegen arbeiten können.

Ich schreibe das nicht ins Blaue hinein, sondern ich habe als Lehrerin und Helferin vielfältige Erfahrungen mit jungen Männern und Frauen, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen und hier im obligatorischen Schulunterricht durchaus ihre eigenen Prägungen hinterfragen und neue entwickeln konnten. Auch die Betreuung durch ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen hatte daran einen sehr wichtigen Anteil.

Wenn wir aus Keleks Argumenten die Konsequenz ableiten, die jungen Leute in den schrecklichen Lagern zu lassen, weil sie von ihren Familien aus unlauteren Motiven heraus losgeschickt wurden, dann arbeiten wir den unguten, gewaltfördernden Kräften in die Hände. Und wir verlieren die Chance, jungen Leuten eine gute Ausbildung und Persönlichkeitsbildung in Deutschland zu ermöglichen, die sie zu wertvollen Mitgliedern unserer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft werden lassen kann.

Dr. Karin Rinn, Fraktionsmitglied Bündnis 90/ Die Grünen

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