Gendergerechte Sprache und deren Verwendung im amtlichen Gebrauch des LDK II

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Rede zur Gendergerechten Sprache bzw. deren Verwendung im amtlichen Gebrauch des LDK in der 6. Kreistagssitzung (Fortsetzungssitzung) am 17.01.2022, gehalten von Dr. Karin Rinn, Bündnis 90/ Die Grünen, Mitglied des Kreistages.

Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse,
oder: Sehr geehrte Entitäten, oder … oder … oder …,

dem griechischen Philosophen Heraklit wird der Spruch „panta rhei“ zugeordnet, das heißt „Alles fließt“.

Sie können nicht zweimal in denselben Fluss steigen, sagen die Leute in Indien. Der Flusslauf heißt zwar genauso wie beim ersten Mal, und die Einstiegsstelle kann dieselbe sein, aber das Wasser ist ein anderes.

Und im Alten Rom hieß es „tempora mutantur, nosque mutamur in illis“, auf Deutsch „Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen“.

Ja, es ist lästig. Ja, es gibt groteske Auswüchse bei dem Versuch, Benachteiligungen in der Sprache zu vermeiden. Ja, wir sind in einer Zeit des Wandels und wir haben instinktiv das Bedürfnis, am Bekannten und Gewohnten festzuhalten. Das ist natürlich, menschlich, und das ist verständlich. Aber es ist nicht gut.

In der WNZ vom 11. September vergangenen Jahres sagt ein Arzt in einem Artikel über die Behandlung von chronischen Schmerzen: „Wir können den Patienten zeigen, dass sie den Schmerz beeinflussen können.“ Und weiter steht da: „Dabei hilft ihnen ein Team aus Orthopäden, Neurologen, Schmerzmedizinern, Psychologen sowie Ergo- und Physiotherapeuten.“

Was sehen Sie vor sich? Wie viele Personen? Einer ist der Patient, ihm gegenüber stehen die sechs genannten Profis aus dem Team. Wie sehen die Leute aus? Was haben sie an? Tragen sie Bart?

Sie wissen natürlich, worauf ich hinaus will, darum würden es die Damen und Herren von den antragstellenden Parteien niemals zugeben, wenn sie hier nur Männer gesehen haben. Oder unter den sieben Personen bestenfalls zwei Frauen.

Das kann nicht so bleiben.

Sprache schafft Realität. Und umgekehrt. Wenn die Realität sich verändert, muss die Sprache nachkommen.

Ich denke, wir sind soweit.

Es gibt noch viel zu tun.

Wichtigkeit und Kompetenz werden noch viel zu oft mit männlichen Attributen versehen.

Also: Was sollen wir tun?

Generisches Femininum für alle, wie es heute Die Partei beantragt und wie es z.B. an den Unis in Leipzig und Potsdam schon eingeführt ist? Weibliche Endung bei pars pro toto, also wenn von einem Individuum gesprochen wird, aber eine ganze Gruppe damit gemeint ist? So wie in dem Beispiel von vorhin, nur eben in weiblich. Da hätte ich persönlich nichts dagegen.

Alte weiße Männer wahrscheinlich schon. Vielleicht sogar junge. Vielleicht sogar manche Frauen.

Auch haben die beiden Abgeordneten von Die Partei bereits selbst angemerkt, dass es uns in der Sache nicht weiterbringt.

Luise Pusch, feministische Sprachwissenschaftlerin, meint, „die Form werde sich allerdings nur schwer durchsetzen lassen, weil viele Frauen ihren Männern nicht zumuten wollten, was Frauen routinemäßig zugemutet werde […] „Nämlich, sich in der falschen Genderschublade wiederzufinden“ (https://www.neuepresse.de/Hannover/Meine-Stadt/Geschlechtergerechte-Sprache-Feministische-Sprachwissenschaftlerin-lehnt-Vorstoss-ab, 24.01.2019).

Vielleicht die Endung „ens“ für alle Personenbezeichnungen, wie es Lann Hornscheidt vorschlägt? Oder Endungen auf „x“? Lassen wir das vorerst, es wird die meisten im Saal überfordern.

Aber überlegen müssen wir.

Ich denke, es wird noch eine Zeitlang dauern, bis wir gewohnheitsfähige Sprech- und Schreibweisen gefunden haben, in denen die bisherige Ungerechtigkeit nicht mehr vorkommt, und bis es soweit ist, müssen wir uns halt mit Konstrukten zufrieden geben, die irgendwie gangbar sind und zunächst eine Verbindlichkeit brauchen, bis die Leute sich daran gewöhnt haben und von dort aus vielleicht auf neue Ideen für elegante und gerechte Formulierungen kommen können.

Warten wir’s ab, und verwenden wir bis dahin die Hilfskonstrukte, die immerhin klar machen, dass mindestens die Hälfte aller wichtigen und kompetenten Personen Frauen sind. Und dass nicht-binäre Menschen ein selbstverständlicher Teil jeder Gruppe sind.

Vorleseprogramme für Menschen, die nicht oder nur sehr schlecht sehen können, lassen sich anpassen.

Einfache Sprache wird statt des generischen Maskulinums möglichst oft neutrale Begriffe wählen, ansonsten aber um und/oder-Formulierungen nicht herumkommen, tut uns leid. Schließlich sind ungefähr die Hälfte aller Lesenden und Hörenden Frauen.

Die Rezepte von gestern und vorgestern taugen in diesem Falle nicht für die Welt von morgen. Noch nicht mal für die von heute.

Schauen wir nach vorne, in die Zukunft, lassen Sie uns mit Menschlichkeit und Gerechtigkeitssinn dorthin gehen!

Wir werden den Antrag ablehnen.

Hinweis: Es handelt sich bei dieser Rede um die Niederschrift einer im Kreistag gehaltenen Rede. Es gilt das gesprochene Wort.

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