Sexuelle Identitäten und Neigungen – Sexualkunde im hessischen Lehrplan

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Rede anlässlich eines NPD-Antrages in der 9. Kreistagssitzung am 27. März 2017, zum Thema Lehrplan für Sexualkunde in Hessen und die Menschenwürdigkeit verschiedener sexueller Neigungen und Prägungen, gehalten von Dr. Karin Rinn, B’90/Grüne, Mitglied des Kreistages.

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wertes Publikum,

eigentlich sollte man zu einem solchen Antrag gar nichts sagen müssen.
Eine Erwiderung erübrigt sich.

Niemals kann ein Kreistag in einer demokratisch verfassten Gesellschaft eine Resolution zur Rücknahme eines Lehrplans beschließen, in dem die Grundrechte der Menschen in unserem Land präzisierend umgesetzt und ausformuliert sind.

Ich darf noch einmal an Art. 1 unseres Grundgesetzes erinnern:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Und in Art. 3, auch daran darf ich noch einmal erinnern, heißt es:
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“

Dass im nachfolgenden Absatz drei, wo die Rede davon ist, dass niemand aufgrund von was auch immer benachteiligt werden darf, dass also in diesem Absatz noch nicht die Rede von geschlechtlicher Identität und Orientierung ist, wird unwichtig angesichts der UN-Resolution, die Deutschland 2008 genauso wie alle anderen europäischen Länder unterzeichnet hat und die 2011 auch von den USA ratifiziert wurde.

Darin steht, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität und Orientierung benachteiligt werden darf.

Wir sind dafür, dass das Benachteiligungsverbot in Absatz 3 nicht nur implizit, sondern auch ausdrücklich auf die sexuelle Identität und Orientierung bezogen wird.

Aber das nur nebenbei.

Tatsächlich wäre eine Rücknahme dieses Lehrplaninhalts ein „Verstoß gegen das Indoktrinierungsverbot“, auf das Sie, Herr Hantusch, sich bezogen haben. Wenn es nach dem Willen Ihrer Partei und anderer Unzufriedener gehen würde, würden Kinder und Jugendliche in den Schulen lernen, dass es nur eine einzige Art der sexuellen Identität und Orientierung geben könnte, und das ist, zu allererst für Kinder und Jugendliche, die in dieses Schema nicht hineinpassen, menschenunwürdig.

Wir können in der Tat nicht staatlich verordnen, was Eltern ihren Kindern als normal und unumstößlich beizubringen versuchen.
Wir können aber in der Schule zumindest einen Ausgleich schaffen und Erkenntnisse verbreiten darüber, dass ein Leben mit Eigenschaften, die nicht der angeblichen Norm entsprechen, gleichberechtigt lebenswert ist.

Wie viel Elend, wie viele schlimme Schicksale hätten früher schon verhindert werden können, wenn Eigenschaften, die ein junger Mensch an sich entdeckt, nicht als unerwünscht, unerlaubt oder sogar abartig hätte angesehen werden müssen.
Was manche Familien hier und heute immer noch zum Geheimhaltungszwang und damit zu einem Leben im Verborgenen beitragen, ist schon schlimm genug, da müssen wir wenigstens in der Schule aufzeigen und vorleben, dass die betreffenden Personen in Ordnung sind und ein Recht auf ein ungestörtes Leben ohne Benachteiligungen haben.

Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Hantusch, und zu Ihrer Partei mit ihren programmatischen Verlautbarungen:

Wovor haben Sie Angst?
Ist es die Angst, dass plötzlich alle Menschen schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell werden und damit die Menschheit ausstirbt? Da kann ich Sie beruhigen, das wird nicht passieren.
Ebenso wenig wie Sie mit programmatischen Vorgaben die genannten sexuellen Ausprägungen verhindern können, können Erlaubnis und Akzeptanz bewirken, dass plötzlich mehr Leute als vorher Neigungen entwickeln, die (übrigens nur auf den ersten Blick) der Vermehrung unserer Spezies entgegenstehen.

Noch ein Wort zu Übergriffen und Ausbeutung:

Dass ein junger Mensch durch Übergriffe verletzt wird, ist auch in vermeintlich sittenstrengen Familien nicht zu verhindern, wenn sich ein entsprechender Akteur in der Familie befindet. Und Mädchen und Jungen, die solchen Übergriffen ausgesetzt sind, können viel wirksamer geschützt werden, wenn sie wissen, wo sie sich vertrauensvoll hinwenden können. Deshalb ist die Problematik mit der sexuellen Ausbeutung auch ausdrücklich im Lehrplan erwähnt.

Übergriffe außerhalb der Familie, etwa in den Schulen selber, fallen viel schneller auf und können unterbunden werden, wenn ein junger Mensch gelernt hat, auf sich selbst aufzupassen und entsprechende Stellen kennt, an denen er Beistand und Schutz suchen kann. Dazu gehört auch, dass der junge Mensch in der Lage ist, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu sein und Einvernehmlichkeit bzw. die Verletzung seiner Grenzen zu erkennen.

Pädophilie ist keine Ausprägung der sexuellen Identität, sondern so wie andere Gewaltneigungen möglichst frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Übrigens ist nach wissenschaftlichen Untersuchungen ein erwachsener Mensch, der Jüngere oder Abhängige zu benutzen bereit ist, häufig zuvor selbst Opfer von Übergriffen gewesen und hat diese im Lauf seines Lebens rationalisiert.

Ach ja, und Ihr Schluss „Beeinflussender Sexualwahn von ideologischen Gender-Wirrköpfen hat an unseren Schulen nichts verloren“ ist absolut zutreffend, genau, das stimmt. Aber ich kann Ihnen auch versichern, dass wir von keinem Wahn befallen und keine Wirrköpfe sind, wenn wir Konzepte zur Würde aller Menschen entwickeln und umsetzen. Schon beamtenrechtlich wird darauf geachtet.

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